Auf den Spuren des legendären Eisenerzzuges

„Fiche, fiche, fiche.“ Es scheint das Lieblingswort des Militärs hier zu sein. Die Formulare mit unseren persönlichen Informationen gehen weg wie warme Semmeln. Der hinter uns liegende Militärposten ist zwar noch zu sehen, doch auch der darauffolgende Staatsmann ist ebenfalls ganz scharf darauf. „Was die bloß mit all den Zetteln machen?“, fragen wir uns und verlassen kopfschüttelnd die Teerstraße, der wir seit Nouadhibou Richtung Norden folgen.

Zunächst sehen wir nur eine Staubwolke. Nach und nach erkennen wir darin Kinder. Aus allen Ecken und Enden strömen sie herbei, direkt auf uns zu. Sie kreischen, gestikulieren und dann – Knall! Der Aufprall eines geworfenen Steines gegen Giorgio lässt uns zusammenzucken. Es macht uns wütend und treibt uns weiter an. Schnell raus hier aus all dem Durcheinander, dem Müll, den notdürftig zusammengeschusterten Hütten. Nur wie und wo? Fieberhaft suchen wir nach Anzeichen einer Piste, einem Weg, der uns aus diesem Ort hinausführt. Kreuz und quer poltern wir über den Sand. Dort drüben sind Gleise zu erkennen. Sven hält darauf zu, dann wird der Menschenlärm leiser. Ich fühle mich überfordert und unwohl damit, was gerade geschah. Der Einstieg in unsere erste mauretanische Piste trübt meine Laune. Die eintönig karge Wüstenlandschaft und das dauernde Gehoppel der Wellblechpassagen hellen diese nicht gerade auf. Am Abend vor einer Sanddüne sitzend frage ich mich: „Auf was zur Hölle habe ich mich eingelassen?“

Dröhnender Rauch

Am nächsten Morgen höre ich ein entferntes Brummen. Langsam wird es lauter. Ein Poltern und Knirschen mischt sich darunter. Schnell klettern wir auf die Düne, um eine bessere Aussicht zu haben. Am Horizont steigt schwarzer Dampf auf und etwas schiebt sich unaufhaltsam in unsere Richtung. Ist er es wirklich? Wir müssen näher ran, ab ins Auto, querfeldein über Büsche und kleine Dünen fährt Sven zu den Gleisen. Hastig tauscht er noch das Objektiv der Kamera. Hoffentlich verpassen wir ihn nicht. Wir springen aus dem Auto und blicken erwartungsvoll in die Richtung, in der das Dröhnen immer mehr anschwillt. Da ist er, der legendäre Eisenerzzug! Mit großen Augen und Gänsehaut beobachten wir das Schauspiel, als sich einer der längsten und schwersten Züge der Welt an uns vorbei schiebt. Wie eine endlose Raupe rattern die mit dem schwarzen Erz beladenen Waggons der bunten, in die Jahre gekommenen Lok hinterher. Hundert! Hundertzwanzig Anhänger und noch immer ist das Schwanzende nicht zu sehen. Bei hundertsechsundachtzig knattert der letzte Erzhaufen an uns vorüber. Tief beeindruckt blicken wir ihm nach. Ja genau, deswegen waren wir hier. Für Erlebnisse wie diese.

Gut gelaunt kehren wir zu Giorgio zurück. Weiter geht es, den Spuren des Zuges folgend in Richtung Osten. Die Schüttelpartie der Wellblechpiste lässt sich heute besser ertragen und wird irgendwann durch tiefen Weichsand ersetzt. Gelegentlich tauchen Überreste von Hütten auf, zerfallene Lehmruinen und Behausungen, die aus Teilen alter Gleise zusammengebaut wurden. Doch alles wirkt verlassen und leblos. Wieso haben die Menschen ihr Zuhause hinter sich gelassen? Wo es sie wohl hingezogen hat? Trinkwasser, welches wir gehofft hatten, in einem der Orte an der Bahnstrecke auffüllen zu können, finden wir jedenfalls keines. Mit jedem Tag, der vergeht, wird es knapper. Die Temperaturen gehen nach oben. Die Furcht davor, plötzlich ohne Wasser in der unwirtlichen Gegend der mauretanischen Wüste zu sitzen, kreist in unseren Gedanken herum und drängt uns zügig weiterzufahren.

Wassersuche

Bereits aus der Ferne sind zwei dunkle Kolosse zu erkennen, die in den Himmel ragen. Nach endlosen Kilometern flacher Wüstenebene ein seltsames Bild. Es wirkt so, als hätte jemand zwei riesige Steinblöcke inmitten einer gigantischen Sandwüste aufgestellt. Diese wundersame Erscheinung der Natur möchten wir uns gern näher ansehen. Doch immer noch sitzt uns das zu Neige gehende Trinkwasser im Nacken. Irgendwo muss es hier doch vernünftiges Wasser geben. Der nächste Ort, Ben Amera, scheint etwas belebter zu sein. Siehe da, neben den Gleisen lässt sich hinter einer geöffneten Tür eine Art Laden erkennen. Juhu, Problem gelöst, jubelt es in unseren Köpfen. Doch bevor wir überhaupt aussteigen können, hat sich bereits eine Schar Kinder um uns versammelt. Sven windet sich durch die Menge und will schnell einige Kanister Wasser kaufen. Ich versuche die Horde davon abzuhalten, auf Giorgio zu klettern und zugleich meine Kleidung zu verteidigen. Ob Schuhe, Hose, T-Shirt oder Ohrringe – gebrauchen können sie alles. Irgendwann kommt Sven zurück, endlich geht es weiter. Falsch gedacht! Abgefülltes Wasser gibt es nicht, aber sie können eines „beschaffen“. Für zwanzig Liter möchten sie dafür umgerechnet fünfzig Euro. Wie verträglich das dann für europäische Mägen ist, ist die andere Frage. Genervt und enttäuscht stromert Sven allein durch das kleine Dorf. Als er zurück kommt, hat er unseren leeren Kanister tatsächlich voll mit Wasser. Wo hat er das nun aufgetrieben? Geruchs- und Geschmackstest sind auf den ersten Blick positiv, daher möchten wir am örtlichen Wassertank einen weiteren Kanister abfüllen. Gerade als Sven das Gleis ein weiteres Mal überqueren will, kommt der Erzzug und legt einen Stopp ein. Super Timing! Der heiße Planet erhitzt Kopf und Gemüt, während uns die Kinder bonbonlutschend weiter bedrängen. Nach einer gefühlten Ewigkeit klettert Sven einfach über die Waggons hinweg und kommt bald darauf mit dem kostbaren Nass zurück. Nun aber nichts wie ab ins Auto und weg hier.

Dem Koloss ganz nah

Am darauffolgenden Tag wachen wir neben einem der Steinberge auf, dem Monolith Aisha. Zusammen mit dem Bruder Ben Amera nebenan gehören sie zu den größten Monolithen der Welt. Erfürchtig stehen wir nun am Fuße des weiblich getauften Berges. Dem monströsen Schildkrötenpanzer von Michael Endes Morla gleich erhebt sie sich vor uns. Schwarzes Gestein wie aus einem Guss geformt. Die Oberfläche erscheint vom Boden aus sehr glatt. Ob er sich dennoch besteigen lässt? Vorsichtig setzen wir Fuß um Fuß auf den steilen Hang. Es hält! Unsere Sohlen kleben am dunklen, heißen Stein, während wir auf Ober-/Unterhitze gebacken werden. Gemächlich, aber stetig klettern wir bergauf, stets darauf bedacht, den sich von der Oberfläche lösenden Steinplatten auszuweichen. Mit brennenden Waden erreichen wir den Gipfel. Rund um uns erstreckt sich die Wüstenebene in sanften Beigetönen. Einige Dromedare trotten gemütlich vor sich hin und in der Ferne sind die Gleise des Eisenerzzuges zu erkennen. Eine angenehme Brise trocknet die Schweißperlen auf Stirn und T-Shirt. Wir freuen uns darüber, unseren ersten Monolithen bestiegen zu haben, verweilen und genießen die Aussicht. Die Erinnerung daran wird so schnell nicht verblassen, denn der anschließende Abstieg kündigt bereits den Muskelkater in unseren zittrigen Oberschenkeln an.

Überraschendes Schauspiel am Himmel

Der Himmel ist voller Schneeflocken. So scheint es, als sich Giorgio den Weg durch die letzten Sandpassagen bahnt, bevor wir am Ende der Zugstrecke Choum erreichen. Mit jedem Mal, an dem wir nahe eines Busches vorbeipreschen, schweben neue Flocken nach oben. Moment mal. Seit wann fallen die weißen Kristallgebilde andersrum? Nach genauerem Hinsehen lassen sich kleine Flügel erkennen, die aufgeregt flattern. Aufgeschreckt steigen sie zu Hunderten dem Himmel empor und bieten uns ein einmaliges Schauspiel. Sandfarbene Heuschrecken. Gut getarnt verharrren sie in den Sträuchern. Erst durch ihr schwarmartiges und lautes Davonzischen sind sie als solche zu erkennen. Schnell die Fenster zu und die Augen staunend aufgerissen, beobachen wir sie, wie sie immer kleiner werden und schließlich im Wüstenflimmern verschwinden. Mag die Strecke auch lang und auf vielen Kilometern eintönig wirken, so hält sie immer wieder Überraschungen für uns parat.

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Eine Antwort zu „Auf den Spuren des legendären Eisenerzzuges“

  1. Avatar von Marion Förster
    Marion Förster

    Hallo meine Lieben,
    vielen Dank für die von dir lieben Melanie geschilderten Eindrücke. Über gute Fotos von dir lieber Sven kann man sich immer wieder freuen.
    Es ist schon ein kleines Wunder, dass Züge mit so vielen Wagons fahren können. Einen Steinberg hätte ich in dieser Gegend auch nicht erwartet.
    Sehr interessant was ihr alles erkundet.
    Liebe Grüße und alles Gute für euch sendet euch eure Marion

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