Ich wache von Kopfschmerzen auf, geplagt von tausend Gedanken. Afrika ist einfach zu viel für mich. Ich kann nicht mehr. Die minütlich einprasselnden Ereignisse von Leid, Armut, Zorn und Neid überfordern mich. Sie strömen unaufhörlich auf mich ein, um ein vielfaches schneller, als ich sie verarbeiten könnte. Andauernd ploppen sie vor meinem geistigen Auge auf.
Wir fahren durch ein Dorf oder soll ich lieber sagen Ghetto. Die Wellblechhütten sind durch Müll umsäumt, wie im Winter bei uns die Straßen vom Schnee, wenn der Schneeräumer das erste Weiß im Jahr zur Seite geschoben hat. Der bösen Vorahnung bestätigend strömen Kinder auf uns zu, wie Mäuse aus allen Ritzen, die sich um ein Stück Käse raufen. Ohne Umschweife und höflichen Floskeln rufen sie rhythmisch „Cadeau, Cadeau, Cadeau“. Dazwischen ein „Money, Money, Money“ oder sofort der hoch im Himmel thronende Mittelfinger gepaart mit einem herzzerreißenden „Fuck you!“. In diesem Moment ist auch der zerberstende Knall eines einschlagenden Steines zu hören, der die dünne Außenhaut der PVC-Sandwichplatte unter der Energie des Aufpralls erdrückt. Ereignisse wie dieses sind leider keine Ausnahme, sondern die Regel, seitdem wir den afrikanischen Kontinent betreten haben.
Weiß = Reich
Diese Doktrin prägt das uns aufgebrachte Verhalten. Selbst im Dialog mit uns sind nur wenige Momente, in denen sie uns als Mensch und Individuum wahrnehmen. Manchmal, so kommt es mir vor, scheint im Subkontext ein „Du bist schuld an meiner Misere“ mit zu schwimmen. Aus der Summe meiner Gefühle urteile ich sicher zu hart.
Narzissmus
Ich bzw. wir wollen den Menschen so unglaublich gerne helfen. Ein Lutscher, Stift oder Heft, wie auch ein getragenes T-Shirt sind nicht nachhaltig. Diese Geschenke können maximal meiner Ohnmacht nicht helfen zu können einen Moment Linderung verschaffen. Dieses Verhalten bewirkt außer der kurzen Betäubung meines Schmerzes das Gegenteil von dem, was ich mir wünsche. Ich stürze die Menschen in eine noch größere Abhängigkeit. Kinder gehen beispielsweise nicht mehr zur Schule, wenn sie mehr Geld herumlungernd am Straßenrand erhalten, als ihre Väter. Der gleiche Elternteil, der sich für seine Nachkömmlinge nichts sehnlicher erwünscht, als ein besseres Leben, dass ihnen selbst bestimmt ist. Dafür opfern sich die Eltern für den Hauch eines Tagelohns auf, um ihren Söhnen und Töchtern eine Schulbildung zu gewähren. Eine Schulbildung, die ihnen selbst verwehrt blieb.
Armut
Auf all meinen Reisen ist mir Armut nur in Städten begegnet. Dort, wo ich zum Überleben bezahlen muss. Im Gegensatz zum Land, auf dem ich mich selbst versorgen kann. Selbstversorgend vom Boden leben sie oft bescheiden und einfach, was wir gerne mit Armut verwechseln, doch sind sie glücklich und zufrieden mit sich selbst. Wo sie auch noch so wenig besitzen, teilen sie gerne und zeigen voller stolz Fotos ihrer Kinder oder berichten von ihrem traditionellen Lebensstil, der nachhaltiger ist und den Planeten nicht vergiftet.
Hier in Westafrika ist es anders. So stolpern wir öfters in Bereiche, in denen ein Überleben auf dem Land nicht selbstverständlich ist. Wir treffen auf Karglandschaften, die durch mehrere Jahre andauernde Dürren geprägt sind. Kommen in Bereiche, die für viele Kilometer ohne Wasser sind. Zu unserem Erstaunen finden wir auch Landstriche vor, die durch ihre natürliche Biodiversität früher ein Überleben, ohne der Entwicklung einer effizienten Agrarwirtschaft, sicher stellten. Doch heute, durch die stark gewachsene Bevölkerung, wäre eine effiziente Agrarwirtschaft unabdingbar.
Reichtum
Genau hier wird mir so offensichtlich vor Augen geführt wie reich ich bin. Nicht im Sinne von Geld auf dem Konto, sondern reich meiner Möglichkeiten, die mir offen stehen. All diese Möglichkeiten wurden mir von meinen Eltern geschenkt. Meine Eltern, die mir ihre Tugenden mit gaben und mir fünfundzwanzig Jahre Bildungssystem zukommen ließen. All das haben meine Eltern mir geschenkt ohne je eine Gegenleistung dafür zu verlangen. Dafür bin ich dankbar. Dankbar meinem Vater und meiner Mutter und all den vielen großartigen Eltern, die bedingungslos ihren Abkömmlingen eine reichere Zukunft erschaffen. Danke.
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