Das Ende vom Anfang?
Es ist ein recht kühler Morgen. Der Wind weht kräftig und hinterlässt eine dünne Sandschicht auf meiner Haut. Ich lasse meinen Blick in die Ferne schweifen. Das schwache Morgenlicht zeichnet einen sanften Verlauf der Sanddünen, die sich am Horizont verlieren. Jede sieht anders aus. Diese hat die Form einer Pyramide, jene daneben windet sich und bildet eine sanfte Kurve. Manche beeindrucken durch ihre schiere Größe. Andere sind kleiner. Doch alle scheinen wie von Künstlerhand geformt. Sie sind durchzogen von einem schönen Wellenmuster hinauf bis zur Kante, um dann auf der Gegenseite steil bergab zu fallen. Ein Skarabäus flitzt bereits geschäftig über den Sand und hinterlässt gleichmäßige kleine Spuren. Sein Anblick lässt mich schmunzeln. Ich atme tief ein und kann mich gar nicht satt sehen an dieser atemberaubenden Landschaft. Hier bin ich nun, am Rand der Sahara mitten auf einer Düne. Lediglich der Wind durchbricht die Stille.
Das Lächeln auf meinen Lippen verblasst. Für einen kurzen Moment vergaß ich, dass dieser Anblick nicht der Anfang von mehr, sondern das Ende sein könnte. Ich blicke die Düne hinab und sehe Sven. Er befindet sich mal wieder unter Giorgio. Ein gewohntes Bild, doch heute verursacht es ein schmerzhaftes Ziehen in der Magengegend. Nach unserer Ankunft gestern Abend im Dünenfeld kam der Schock: Die Verbindung vom Führerhaus zur Kabine hat sich gelöst. Wo einst noch eine LKW-Plane war, pfeift nun der Wind hindurch. Auf einer Seite hängt die Kabine bedrohlich weit nach außen. Sven ist sich sicher, dass wir nur die Spitze des Eisgberges sehen und das Problem viel tiefer sitzt.
Fassungslos und geschockt sitzen wir in der Wüste vor unserem rollenden Zuhause und starren Löcher in die Luft. Ich spüre eine unglaubliche Wut in mir aufsteigen. Erneut zeigt sich, welchen Schrott uns der Vorbesitzer verkauft hat. Wie soll es nun bloß weitergehen?
Mit einem Spanngurt versucht Sven die Kabine notdürftig zusammenzubinden. Ob das über die Wellblechpiste hält? Wir müssen es versuchen. Irgendwie zurück nach Zagora gelangen. Mit jedem Wackeln blicke ich panisch nach hinten zur Box. Ist noch alles dran oder löst sie sich noch mehr in ihre Einzelteile auf? Gegen Abend erreichen wir erneut die Stadt, die wir zwei Tage zuvor erst für die Wüste verlassen hatten.
Nach einer schlaflosen Nacht und vielen Diskussionen begeben wir uns am nächsten Tag zur Werkstatt „Garage Sahara Zagora“. Viele Overlander vertrauen ihr Fahrzeug den Händen von Abdul und Mohammed an. Sollen wir das auch tun? Wie viel Ahnung haben sie im Reparieren von Wohnkabinen? Und schließlich, wie viel wird das wohl kosten? Fragen über Fragen. Doch das kostet ja bekannterweise nichts. In Windeseile ist eine Schar Mitarbeiter angerückt. Von allen Seiten versuchen sie das Ursprungsproblem ausfindig zu machen. Mögliche Ursachen sind im Gespräch, der darauffolgende Morgen soll mehr Klarheit verschaffen.
Um 10:30 Uhr kommen wir in der Werkstatt an. Wir sind eine halbe Stunde zu spät. Die Mechaniker trudeln gemächlich um 11 Uhr ein. Bis einer davon endlich Giorgio richtig unter die Lupe nimmt ist gefühlt schon Mittag. Doch dann geht alles plötzlich sehr schnell. Es scheint als würde unser Fahrzeug nun von der kompletten Mannschaft zerlegt. Alle Boxen müssen raus, die Betten ebenso. Es folgen die Bodenplatten mitsamt Styropor und Airlineschienen. Es wird gehämmert und geschraubt was das Zeug hält. Ich sehe nur noch Einzelteile, die sich in, unter und um Giorgio herum verteilen. Hoffentlich werden diese danach auch wieder alle verbaut. An der richtigen Stelle wohlgemerkt.
Während hinter uns die Fetzen fliegen, wird uns der landesübliche Tee angeboten. Oder um es mit Abduls Worten zu sagen „Sugar with sugar, our speciality!“. Wir müssen herzhaft lachen. Wie recht er doch damit hat. Alle Mitarbeiter sind sehr zuvorkommend und freundlich, auch der Preis scheint vollkommen in Ordnung. Wir beschließen, der klapprigen Box noch eine Chance zu geben und den Bau einer neuen vorerst in die Zukunft zu verschieben.
Drei Tage lang wird fleißig an Giorgio gearbeitet. Egal ob Schweißen, Flexen, Schrauben, Hämmern – geschlossene Schuhe, Kopfhörer und Handschuhe sucht man hier vergebens. Flipflops und ein Einteiler sind ausreichend. So erneuern die Jungs die Befestigung der Box am Rahmen und flicken die abgerissene LKW-Plane. Ein Zusatzverstrebungen aus Vierkantrohren sollen zusätzliche Stabilität geben, um die wackelpuddingartigen Schwankungen zu reduzieren. Vorsichtshalber wird zudem pro Seite mit viel Körpereinsatz eine weitere Blattfeder geschmiedet.
Hier steht Giorgio nun. Bereit sich ein zweites Mal in die Wüste zu wagen. Ob der Koffer nun halten wird?
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