Farbenspiel
Ein zartes Hellblau. Daneben das um Aufmerksamkeit ringende Königsblau. Ab und zu schleicht sich ein Fleckchen Türkisblau dazwischen. Wir tauchen ein in ein Meer aus Blau in den verschiedensten Abstufungen. Wände, Türen, Fensterläden, zum Teil sogar die Böden und Treppen wurden bemalt. Leuchtende Farbtupfer in Orange und Gelb blitzen hervor wie bunte Fische im Wasser. Uns umgibt eine angenehme Ruhe. Sie hüllt uns ein, während wir durch die Gassen Chefchaouens schlendern.
Katzen schleichen umher oder genießen träge die wenigen Sonnenstrahlen, die die engen Sträßchen durchlassen. Auch die Händler in der pittoresken Medina sind zurückhaltend. Ihre Handwerkskünste zieren die schmalen Gassen. Teppiche, Lampen, Taschen und Körbe sind schmuckvoll an den Wänden angebracht. Ein Minibus manövriert langsam, aber zielstrebig durch ein Steintor. Er hätte keinen Zentimeter breiter sein dürfen.
Planlos wandeln wir umher. Verlieren uns in all dem Blau und finden uns wieder. Ein Verkäufer hat frisches Obst und Gemüse auf einem Tisch plaziert. Wir füllen uns eine Tüte und steigen dann gemütlich den Weg empor zurück zum Campingplatz.
Am nächsten Tag treibt es uns weiter südlich. Wir machen einen kurzen Stopp in Fes. Der Souk und vor allem die Gerbereien sind interessant. Die Händler allerdings etwas zu aufdringlich und die Preise für unseren Geschmack zu teuer. Wir entfliehen dem Gewusel. Uns zieht es raus in die Wildnis.
Müde und mit einem ausgeschütteten Kaffee starten wir am nächsten Morgen am ausgetrockneten See Lahrahir Dayat Aoua in den Tag. Was der wohl bringen mag? Eine Teerstraße führt uns vorbei an schicken Einfamilienhäusern mit roten Satteldächern. Alles wirkt sehr modern, makellos und gepflegt. Ein Abzweig führt zum Golfplatz, ein anderer zum Flughafen. In Kombination mit der leicht bewaldeten Fläche könnten wir uns genau so gut in einer europäischen Kleinstadt befinden. Etwas verdutzt lassen wir Ifrane hinter uns.
Die Affen rasen durch den Wald
Marokkanische Familien sitzen unter den Bäumen und picknicken als wir den Parc d’Ifrane durchqueren. Einige haben ihren Tisch sogar mit weißen Decken bestückt. Kinder hüpfen freudvoll umher. Erneute Menschenansammlungen ein Stück weiter am Straßenrand lassen mich etwas genauer hinsehen. Ich entdecke etwas braunes. Moment, sitzt dort gerade ein Affe? „Stopp!“, rufe ich und Sven tritt auf die Bremse. Wir schnappen uns ein paar Erdnüsse und sehen uns das Treiben etwas genauer an. Tatsächlich entdecken wir nach und nach immer mehr kleine Berberaffen, die munter zwischen den Menschen umherspringen. Sven und ich tapsen vorsichtig einige Schritte in den Wald hinein, weg vom Trubel an der Straße. Auch hier turnen die Akrobaten an den Bäumen, bieten uns wilde Verfolgungsjagden oder lausen sich etspannt am Boden. Dass wir da sind, scheint sie nicht zu stören. Sie halten einen gewissen Sicherheitsabstand, doch beim einen oder anderen siegt die Neugier. Wir gehen in die Hocke, eine Erdnuss auf der flachen Hand. Ein aufgewecktes Kerlchen setzt sich uns gegenüber. Er blickt uns in die Augen, dann auf die Nuss und zack ist sie auch schon weg. Wir genießen die Nähe und Ruhe, die wir hier mit unseren nächsten Verwandten genießen dürfen. Schließlich lassen wir die Affenbande wieder alleine und folgen der Straße weiter nach Zaida, dem Startpunkt unserer ersten richtigen Offroad-Route.
Cirque de Jaffar – Ab durch die Mitte
Wir stehen am Rand der Schlucht. Im Hintergrund leuchten die schneebedeckten Berge. Vor uns geht es steil bergab. Sven legt die Untersetzung ein. Stück für Stück krabbelt Giorgio das Gefälle hinunter. Mitten im Oued, einem ausgetrockneten Flussbett, sucht man die Piste vergeblich. Steine, nichts als Steine liegen vor uns. Im Schneckentempo nähern wir uns der Passage, an der die Felsen dicht beisammen stehen. Wie klein man sich doch fühlt, wenn links und rechts von einem die Wände majestätisch in die Höhe ragen. Die Landschaft erinnert mich an jene Szene in „Der König der Löwen“, in welcher Simba versucht, sich vor der Büffelherde in Sicherheit zu bringen. Auch hier gibt es keinen Ausweg nach links oder rechts. Es heißt also ab durch die Mitte. Die Wände kommen immer näher. Dicke Felsbrocken versperren den Weg. Hier passt ein Motorrad durch, Giorgio wohl kaum. Ich springe raus, zeige Sven an wie viel Platz zwischen Reifen und Stein bleibt. Ein Zentimeter, mehr nicht. Auf der anderen Seite hat Sven das Problem schon gelöst. Der geringere Luftdruck ermöglicht es, dass der Reifen einfach den Brocken umschlingt und langsam darüber krabbelt. Mir bleibt der Mund offen stehen, kaum zu glauben.
Immer noch von der Magie und Einsamkeit in der Schlucht gefesselt, verlassen wir diese. Nach ein paar Metern erwarten uns plötzlich einige wild gestikulierende und durcheinander schreiende Frauen. Sie sind wohl die Bewohnerinnen der wenigen Hütten, die sich vor uns abzeichnen. Ziemlich energisch versuchen sie, uns zum Anhalten zu Bewegen. Es werden uns sogar drei kartoffelgroße Steine aus dem Weg geräumt. In Anbetracht dessen, dass wir uns in einem Flussbett befinden, mutet dies etwas sinnlos an. Auf uns macht es den Eindruck, als möchte man uns unbedingt dazu bringen, ein paar Spenden dort zu lassen. Wir haben gerade keine Lust anzuhalten. Noch weniger darauf, mit Geld um uns zu werfen.
Erleichtert, dem Trubel entkommen zu sein, steuern wir weiter in Richtung des Berges. Schon nach einigen Metern vernehme ich ein „Scheiße“ von der Fahrerseite. Dann bewegen sich unsere Reifen wirklich nicht mehr. Ich blicke zur Piste vor uns und dann dorthin, wo diese weiterführt. Dazwischen klafft eine riesige Lücke. Die Erde wurde vom letzten Regen einfach weggespült und macht den Weg völlig unpassierbar. Auch links und rechts davon geht es in die Tiefe. Auffüllen mit der Schaufel? Da wären wir hier wohl Tage lang beschäftigt. Wir lassen die Schultern hängen. Bisher schien Giorgio durch nichts aufzuhalten zu sein. Müssen wir jetzt deswegen umdrehen? Wieder am Nomadendorf vorbei? Enttäuscht treten wir den Rückweg an. Dann höre ich ein lausbübisches Grinsen neben mir. Svens Blick hängt am Hang neben uns. Sofort weiß ich, dass er gerade einen Plan ausheckt. Nun stehen wir direkt davor. Die Auffahrt hier ist steil, sehr steil. Piste? Fehlanzeige. Ich komme mir vor wie bei einem Raketenstart. 3 – Sven schaltet die Untersetzung ein, 2 – die Differenzialsperren leuchten, 1 – und schon drückt uns die Steigung in die Sitze hinein! Mit Karacho düsen wir bergauf. Nur nicht anhalten. Die Ziellinie ist in Sicht. Juhu, geschafft! Vor uns liegt wieder die Ursprungspiste. Voll Freude springen wir aus dem Bus, tanzen und jubeln.
Verschneites Marokko
Einige Tage später. Waren die schneebedeckten Berge bisher nur in der Ferne sichtbar, sind wir nun mittendrin. Nicht nur in den Bergen, sondern auch im Schnee. „Endstation, alle aussteigen“, könnte eine Zugdurchsage hier lauten. Dick eingepackt und mit Wanderstiefeln stapfen wir ein Stück weiter zu Fuß auf der Straße durch fast wadenhohen Schnee. Die Situation fühlt sich surreal an. Sie beißt sich mit dem Bild des klassischen Afrika im Kopf. Doch immerhin sind wir zur Winterzeit in Marokko und auf knapp 3000m Höhe. Da sollte uns dies nicht verwundern. In die Dadèsschlucht kommen wir auf diesem Weg definitiv nicht. Also packen wir unsere Campingstühle aus und machen erst einmal Mittagspause.
Erlebnisse des vergangenen Tages ziehen gedanklich an mir vorüber, während ich hier gelassen auf die Berge blicke. Wir sind auf dem Weg nach Ilmilchil, die Landschaft verzaubert uns. Sanfte Hügel in pastellfarbenen Braun- und Grüntönen wechseln sich mit dem Weiß schneebedeckter Berge ab. Dazwischen immer wieder Erdflächen in schwarz und rot. Welch ein Farbenspiel uns die Natur hier bietet ist kaum mit Worten zu beschreiben.
Die Straßen schlängeln sich immer wieder durch kleine Bergdörfer. Einfache Lehmhütten. Kinder kommen angerannt, winken uns freudig zu. Wir grüßen zurück. Einige von ihnen scheinen jedoch verärgert, enttäuscht. Die Hände werden aufgestreckt, einige zeigen den Mittelfinger.
Irgendwo mit den Fahrradreifen im Schneematsch fahrend lesen wir Zaid auf. Ob wir ihn ein Stück mitnehmen können? Klar, kein Problem! Das Fahrrad ist schnell in der Kabine verstaut und vorne haben wir zu Dritt Platz. Die Verständigung ist schwierig, doch Zaid ist ein angenehmer und dankbarer Beifahrer. Er möchte heute noch zurück nach Tinghir, seinem Zuhause. Als wir an unserem Übernachtsplatz in der Todraschlucht ankommen, dämmert es bereits. Gut gelaunt fährt er mit seinem alten Drahtesel davon. Ob er die gesamte Strecke mit bloßer Beinarbeit heute noch geschafft hätte? Kaum vorstellbar. Bewundernd schauen wir ihm nach als er in der Enge der Schlucht verschwindet.
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