Mein Truck, mein Motorrad, mein Bike –  
Teil I

Mein Truck, mein Motorrad, mein Bike –  
Teil I

Box um Box füllt sich Giorgio. Eine zum Klettern, eine mit Motorradausstattung, eine weitere mit Wander- und Radausrüstung, eine mit Elektrokram. Und wenn man denkt, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo eine weitere Box daher. Schließlich muss ja auch noch die Knisterkiste (Boxio) und das ganze Essen eingeboxt werden. Nach schweißtreibendem Treppe runter, Treppe rauf und unzähligen Boxen später kann es endlich losgehen. Oder nein, da war noch was: Unser kleiner Giorgio bekommt noch einen Anhänger dran. Noch mehr Boxen? Nein, hinten darf dieses Mal Nina Laubfrosch mitfahren, Svens grüne Rennmaschine. Und im Truck noch das rote Fahrrad. So, nun aber los.

Nach einiger Zeit machen wir eine Pinkelpause. Auf dem Rastplatz steht die Polizei und hat zwei PKWs mit Anhänger rausgezogen. Wir sehen bei weitem verdächtiger aus, doch obwohl wir vor ihrer Nase parken, interessieren sich die Ordnungshüter nicht für uns. Ich bin erleichtert und wir tuckern entspannt weiter über die österreichische Grenze zum Mondsee. Die erste Nacht verbringen wir auf dem Campingplatz eines Bauern am See, essen leckere Wraps und tauchen ein in das Sternenmeer über uns.

Nächster Tag. Ich bin durchgeschwitzt, Schweiß läuft über mein Gesicht. Meine Hände klammern sich fest, konzentriert klettere ich ein Stück weiter auf dem Rücken des Drachen. Die Aussicht ist herrlich, das Wetter gigantisch. Wir befinden uns bereits seit zwei Stunden in der Drachenwand. Nur noch ein paar steile Grate, dann haben wir das Tier bezwungen und sind an seinem majestätischen Kopf angelangt. „Welch herrlicher Klettersteig“, denke ich mir noch während des Abstiegs, der sich alles andere als eintönig erweist. Auf einem schmalen Pfad durch den verwunschenen Wald geht es bergab. Doch die Rache des Drachen lässt nicht lange auf sich warten und nach einem knackigen Gegenanstieg geht es den alpinen Steig mit ausgesetzten Stellen teils über Leitern und Steigeisen steil bergab.

Der Elefant im Porzellanladen

Wieder unten angekommen, ziehen wir weiter. Spontan entscheiden wir uns für den Hallstätter See, doch was uns dort erwartet, zerschlägt schnell die Vorstellung eines entspannten Ankommens am Nachmittag. Ein in Park4Night gefundener Campingplatz mit angeblich moderaten Preisen erweist sich als Luxus-Camping-Lodge eines älteren Herren, der alles andere als freundlich und zuvorkommend ist. Abgeschreckt von den Preisen und der höchst unsympathischen Art des Betreibers wollen wir mit Giorgio und dem Anhänger auf dem sehr engen Gelände wenden. Das allein ist schon eine Herausforderung, wenn man das erste Mal mit so einem riesen Gespann unterwegs ist. Damit wir es so richtig schwer haben, motzt uns der Inhaber an: „Nein! Ihr seid zu schwer! Hier dürft ihr nicht wenden! Ihr müsst rückwärts raus fahren!“ Herzlichen Dank! Giorgio mit Anhänger ist hier wie ein Elefant im Porzellanladen. Ok, tief durchatmen und los. Sven sitzt am Steuer, ich versuche von draußen zu navigieren. Ein Stück zurück. Stopp. Der Hänger geht in die falsche Richtung. Vorwärts. Wieder zurück. Richtung passt. Stopp. Ein parkendes Auto. Zu eng. Wieder vorwärts. So treten wir auf der Stelle und es bewegt sich kaum etwas in Richtung des Fluchtweges. Obwohl ich nicht mit dieser Mammutaufgabe hinterm Steuer sitze, bin ich unglaublich genervt. Einige feine Schaulustige des Luxus-Glampings meinen ihren Senf dazu geben zu müssen. „Setzt euch doch rein, wenn ihr es besser könnt!“, denke ich nur. Ich bewundere Sven. Mit voller Konzentration und einer unglaublichen Geduld und Ruhe vollführt er diesen Tanz. Ein Schritt vor, fünf Schritte zurück. In dem Moment, in dem sich Giorgio endlich wieder auf der Straße befindet, bin ich unglaublich erleichtert. „Heute darfst du dir alles wünschen, was du willst, Sven“, meine ich nur und wir nehmen mit Turbo-Giorgio-Geschwindigkeit Reißaus von diesem Ort. 

Planlos irren wir nun unmher. Wolken verdunkeln den Himmel als wäre es schon tiefste Nacht und ein Sturm zieht auf. Mit ihm kommen heftige Windböen, die wir sogar in unserem 3,5t-Gefährt merken und ein Regenguss, der die Sicht komplett versperrt. Nirgends gibt es einen guten Stellplatz für uns und nachdem wir kreuz und quer in der Gegend herumgestreift sind, landen wir spätabends beim Berghotel Lämmerhof. Dort dürfen wir über Nacht auf dem Parkplatz stehen. Die unglaublich netten Besitzer zaubern uns sogar noch ein leckeres Menü, obwohl die Küche eigentlich schon geschlossen hatte. Was für ein Kontrastprogramm zu unserem Erlebnis am Nachmittag.

Schilderwahnsinn

Eine falsche Abbiegung am Morgen des nächsten Tages führt dazu, dass wir Giorgio erneut rückwärts aus einer Sackgasse hinaus manövrieren müssen. Auch die Fenster haben sich gegen uns verschworren und wollen partout nicht aufgehen. So ist Sven komplett auf die Spiegel und meine Zusatzinfos angewiesen. Ein angrenzende Viehzaun bleibt glücklicherweise heil und nun geht es vorwärts Richtung Millstätter See. Der Schilderwald auf dem Weg dorthin macht uns schier wahnsinnig: allgemeines LKW-Verbot, Verbote ab einem bestimmten Gewicht, Verbot für Anhänger, Verbot für LKW mit tatsächlichem Gewicht oder zulässigem Gesamtgewicht von 3,5t. Dann wiederum gibt es Verbotsschilder mit Ausnahmen für Ziel-, Durchgangs- und Quellverkehr oder für Anrainer. Bis zu diesem Zeitpunkt dachten wir, wir würden uns mit der Straßenverkehrsordnung auskennen, doch nun wurden wir eines besseren belehrt. Die Suchmaschinen unserer Handys laufen nebenbei auf Hochtouren, doch auf welchen Straßen wir nun tatsächlich fahren dürfen, erschließt sich uns nicht. Also einfach mal auf gut Glück irgendwo lang. Auf einer dieser fragwürdigen Straßen plötzlich ein kurzes Luftanhalten: Dort stehen drei Polizisten, die auf der Gegenfahrbahn mit einem Blitzer stehen. Verdammt, auch das noch! Mit Giorgio sind Blitzer meist kein Problem, wir fürchten eher, dass wir gerade gegen das Gesetz auf dieser Straße fahren. Die Blicke der Polizisten folgen uns. Sven winkt nett. Wir behalten den Rückspiegel im Auge. Nähert sich uns ein Streifenwagen? Nachdem wir ein gutes Stück weiter gefahren sind, atmen wir hörbar aus. Puh, mal wieder scheint sich die Polizei nicht für uns zu interessieren.

Nach einer entspannten Nacht am Campingplatz Neubauer am Millstätter See wachen wir mit Regen auf. Da laut Radar eine den ganzen Tag anhaltende Schlechtwetterfront vorbeizieht, ändern wir unsere Pläne. Somit wollen wir schon heute über Italien nach Slowenien fahren. Kurz vor der Einreise in unser Zielland eröffnet sich uns ganz unverhofft ein unglaublich schöner Ausblick auf einen See, der uns zum Anhalten motiviert. Wie sich herausstellt stehen wir fast alleine vor dem Lago del Predil. Dichte Wolken ziehen hinter den Bergen vorüber und der Nebel des noch anhaltenden Nieselregens steigt majestätisch nach oben. Das Herz der Szenerie bildet der türkisfarbene See, in dessen Ufernähe sich eine kleine bewaldete Insel befindet. Wir kochen uns eine Tasse Kaffee und genießen ein paar Kekse. Die Aussicht hätte nicht besser sein können. 

Ein kleines Paradies in Slowenien

Unsere Glückssträhne hält an und der nächste Stellplatz in Slowenien ist einfach traumhaft. Nachdem wir das Verbotsschild ignorierend auf einem geteerten Weg mitten durch den dortigen Golfplatz gefahren und um die Ecke gebogen sind, befinden wir uns in einem kleinen Paradies. Rund um uns jede Menge Bäume und dichtes Gewächs, die Berge erheben sich im Hintergrund und ein kleiner Fluss schlängelt sich im Tal entlang. Wir erhaschen sofort den Blick auf einige interessante Reisemobile und fühlen uns hier genau am richtigen Ort. David, der Besitzer des Grundstückes, führt keinen offiziellen Campingplatz, da hierfür unglaublich viele Auflagen erfüllt werden müssten. Diese würden jedoch genau die besondere Atmosphäre des Platzes zu nichte machen. Also stellt David seinen Besuchern einfach sein Grundstück zur Verfügung und freut sich über Spenden. Was für eine schöne Idee! Mit einer kunterbunten Mischung aus alten Türen, Fenster und sonstigen Materialien hat er ein nachhaltiges Badehäuschen und eine offene Küche gebaut. Das Wasser kommt aus einer Quelle im Wald und auf den Schutz der Umwelt wird Wert gelegt. Wow! Wir sind so von der besonderen Stimmung dieses Ortes gepackt, dass wir die nächsten drei Nächte hier verbringen.

Das Ziel unseres ersten Ausfluges in Slowenien ist das Soca-Tal. Die ca. 11 km lange Wanderung von der großen Soca-Schlucht nach Bovec überrascht uns immer wieder mit malerischen Ausblicken auf die smaragdgrüne, jedoch eisig kalte Soca. Dass es sich (zumindest für uns) mit etwa 8-9 °C nicht um Badetemperatur handelt, dürfen wir gleich zu Beginn unserer heutigen Tour spüren: Der von uns gewählte Wanderweg hat plötzlich ein Ende. Was tun? Den Weg wieder zurück laufen oder den Fluss überqueren? Wir entscheiden uns für letzteres. Also Schuhe aus, Hose hochkrempeln und los. „Verdammt! Ist das kalt!“, jammere ich noch, kurz bevor mir die Luft weg bleibt. Der erste Schritt ins Wasser ist ein Schock. Die weiteren sind nicht weniger heftig. Tapfer stapfen wir weiter. Doch statt sich an die Kälte zu gewöhnen, wird es einfach immer schlimmer. Meine Beine schmerzen oder spüre ich sie überhaupt noch? Ich bin mir nicht ganz sicher und habe permanent nur das andere Ufer im Blick. Wir stehen bis zu den Knien im Wasser. „Jetzt bloß keinen falschen Tritt machen und ausrutschen“, denke ich mir zwischen all den Momenten, in denen mein Gehirn mir permanent nur Warnsignale mit „kalt, kalt, kalt“ sendet. Mir ist schon etwas schwummrig als ich endlich wieder einen Fuß an Land setze. Meine Füße und Beine sind steif. Doch blitzschnell wechseln sie ihre Farbe zu feuerrot und fangen an zu heizen. Die nächsten Meter spazieren wir erst mal barfuß weiter bis sich unsere Füße wieder etwas beruhigt haben. Teils über Schotter, teils über kleine Pfade durch Waldstücke erstreckt sich der Weg am Fluss entlang. Immer wieder wechseln wir mit den Hängebrücken die Seite bis wir schließlich wieder in Bovec ankommen, wo Giorgio geduldig auf uns wartet.

Jede Menge Kurven und traumhafte Ausblicke

Die Nacht wie auch der darauffolgende Tag sind grau und regnerisch. Doch wir sind in Erkundungslaune. Es wird Zeit, eine kleine Tour mit Svens Ninja zu unternehmen. Warm eingepackt geht es von Bovec über Trenta hoch in die Julischen Alpen. Kurve um Kurve schlängeln wir uns 26 Haarnadelkurven den Vršičpass hinauf bis zum höchsten Punkt 1611m über dem Meeresspiegel. Alle drei der Verpflegungsstationen sind geschlossen und so trinken wir eine Tasse unseres Tees, bevor es wieder in Schlangenlinien 24 Kurven (jede Kurve hat eine Nummer) nach unten geht. Interessanterweise sind in diesem Passabschnitt die Kurven gepflastert, der Rest der Strecke ist hingegen geteert. Mit dem Motorrad ist das so eine Sache. Nach jedem Beschleunigungsvorgang, welcher mit einem abrupten Bremsvorgang kurz vor der Kurve endet, hoffe ich, dass uns der Grip von Ninjas Slicks heil über die nassen Pflastersteine bringt. Doch Sven hat alles im Griff und in einer weiteren Kurve entdecken wir im Waldstück nebenan eine russische Kapelle, die aus Holzschindeln gebaut wurde. Über die Schilder erfahren wir, dass sie an russische Kriegsgefangene erinnern soll, die im Ersten Weltkrieg in Verbindung mit dem Bau der Passstraße ums Leben kamen. Wir bewundern dieses Bauwerk aus Holz und verweilen auf einer Bank. Kurz darauf sitzen wir wieder auf dem Motorrad, halten jedoch bald erneut, denn vor uns liegt der blaue Jasna Jezero. Auch wenn es sich dabei um zwei künstlich angelegte Seen handelt, laden uns diese zu einem Spaziergang und einer Tasse Kaffee ein. Bevor wir auf unserer Tour über den höchsten Straßenpass Sloweniens die italienische Grenze auf dem Rückweg überschreiten, besuchen wir noch das Naturreservat Zelenci. Nach einem kurzen Spaziergang durch das Moorgebiet im Wald eröffnet sich uns der Blick auf einen traumhaften kleinen Tümpel. Von hellgrün über türkis und dunkelblau changieren die Farben in dem klaren Gewässer vor uns. Eingebettet in eine malerische Kulisse mit einer Vielfalt an Pflanzen und den Bergen im Hintergrund genießen wir die Aussicht auf den Tümpel. Mittlerweile hat der Regen aufgehört und der Himmel hellt sich auf. Welch traumhafte Kulisse!

Ein kurzer Streckenabschnitt führt uns wieder nach Italien. Unsere Gesichter beginnen beim Anblick der schmackhaften Lebensmittel im italienischen Supermarkt zu strahlen. Aus jedem Regal lacht uns etwas an. Wir packen den Rucksack knallvoll und ab gehts zurück nach Slowenien zu unserem Stellplatz bei David. 

AdSVENture

Da wir heute ausnahmsweise noch vor Anbruch der Dunkelheit zu Abend essen, beschließen wir laut Sven einen „kleinen Abendspaziergang“ zum nahegelegenen Wasserfall Slap Virje zu machen. Ich finde dies eine schöne Idee, da ich den Wasserfall unbedingt vor unserer Abreise noch sehen möchte. Also maschieren wir los, Sven in Flipflops, ich vorsichtshalber mal mit meinen abgelaufenen Turnschuhen. Der kleine Pfad führt über viel Wurzelwerk immer weiter nach oben bis wir an einem Stausee ankommen. Seelenruhig erklärt mir Sven sein neues Stativ und es werden diverse Einstellungen auf der Kamera ausprobiert. Da die Sonne schon untergegangen ist und es immer düsterer wird, bin ich innerlich schon etwas unruhig. „Lass uns doch nun zu dem Wasserfall gehen, ich möchte ihn gerne noch mit etwas Tageslicht sehen können“, raune ich ihm etwas genervt zu. Nach einigen Schritten zweigt rechts ein Trampelpfad ab, der laut Svens Karte der richtige Weg zum Wasserfall ist. Relativ schnell zweifle ich daran, denn der sogenannte Weg fällt steil bergab und besteht zum Teil aus riesigen Steinbrocken, über die es sich einen Weg nach unten zu Bahnen gilt. Dass der Boden vom Regen ganz matschig und rutschig ist, macht die Kletterpartie nicht gerade leichter. Zudem ist es in dem Waldstück bereits so dunkel, dass man kaum erkennen kann, wohin man tritt. Immerhin habe ich noch die Stirnlampe eingepackt. Auch Sven schlittert mit seinen Flipflops den Hügel hinab, meint aber nur „Du hast doch AdSVENture gebucht, also bekommst du eines.“ Somit tasten wir uns stückchenweise nach unten vor und stehen wundersamerweise noch mit heilen Beinen vor dem Wasserfall. „Wow, voll schön!“, murmle ich enttäuscht im Dunkeln vor mich hin. Nach diesem abenteuerlichen Weg hätte ich mir wenigstens gewünscht, mit einem grandiosen Blick auf den Wasserfall belohnt zu werden. So kann ich nur erahnen wie er aussieht. Es scheint mehrere kleine Ergüsse zu geben, die über den Felsen nach unten ins Becken stürzen. In meiner Fantasie male ich mir den Wasserfall in schönen Blautönen aus, eingerahmt von dem satten Grün der Pflanzen rundherum. Doch dann werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Hier ein Knacken, dort ein Geheule. Fledermäuse erwachen mit dem Einziehen der Dunkelheit und zischen über unseren Köpfen auf der Jagd nach Nahrung vorüber. Und was war das gerade eben schon wieder für ein Geräusch? Die Natur um uns herum ist auf einmal so viel lauter, wenn der Rest der Welt leiser wird. Plötzlich kommt der Wind auf und kräftige Windböen fegen über uns hinweg. Die Bäume auf dem Hügel oberhalb des Wasserfalls werden in alle Richtungen gebogen und neigen sich tief herab. Ein Unwetter möchte ich hier wirklich nicht erleben, also nichts wie weg. Wie sich herausstellt, gibt es auch einen einfachen, gut ausgebauten Weg zurück zu unserem Stellplatz. Man könnte es im Vergleich zu unserer Variante eine Wander-Autobahn nennen. Aber einfach kann schließlich jeder und so hatten wir für den Hinweg mal wieder „die landschaftlich schönere Route gewählt“, wie Sven zu sagen pflegt.

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